Texte auf Deutsch
Herwarth Walden und der Sturm
Ein internationales Symposium über die Revue und die Galerie Der Sturm, das am 14. und 15. Oktober 2010 in Berlin stattgefunden hat, bietet den Anlass, diese beiden Unternehmungen und ihren Urheber einer größeren Öffentlichkeit vorzustellen. Die von Herwarth Walden (eigentlich Georg Lewin) gestiftete und herausgegebene Zeitschrift zählte zu den wichtigsten Organen der deutschen, künstlerischen Avantgarde. Auf ihren Seiten wurden die besten Werke jener Maler und Schriftsteller publiziert, die wir heute als die berühmtesten Vertreter des Expressionismus kennen. Der Sturm setzte sich für eine internationale Erneuerung ein, und sein Inhalt war stark intermedial geprägt. In diesem Sinne führte er die Tradition der Sezessionszeitschriften weiter. Die mit Walden befreundeten Künstler gehörten jedoch schon einer neuen Generation an, darunter der österreichische Maler Oskar Kokoschka, die Leitfigur der ersten Jahrgänge des Sturms, auf dessen Seiten nicht nur seine Zeichnungen abgedruckt wurden, sondern auch das bekannte Drama Der Mörder, Hoffnung der Frauen. Für Kokoschka verkörperte Der Sturm einen Aufbruch in der Kunst und er verglich sogar das Berlin dieser Zeit mit Athen im Zeitalter von Perikles. Obwohl wir heute seine Aussage für übertrieben halten, da wir wissen, das die schmeichelhafte Bezeichnung eher zum Paris der Jahrhundertwende passen würde, war Berlin eines der wichtigsten Zentren der Avantgarde in Mitteleuropa. Der Sturm entstand auf der Basis der lebendigen Unruhe, die Berlin schon am Ende des 19. Jahrhunderts zum Zentrum des Kunstmarktes machte, etwa durch Persönlichkeiten wie den Direktoren der Nationalgalerie Wilhelm von Bode oder Hugo von Tschudi. Den kaiserlichen Traditionen widerstand und der Konkurenzkampf der jungen Generation, die Waldens Zeitschrift und die später gegründete Galerie als ein willkommenes Versuchsfeld nutzten.
Herwarth Walden stammte aus einer gebildeten Familie russischer Juden und er studierte zuerst Musik in Florenz. Später wandte sich sein Interesse eher zur Literatur und er wurde zu einem Mitarbeiter des Nietsche-Archivs. Im Alter von 32 Jahren begründete er die Zeitschrift Der Sturm, deren erste Nummer 1910 erschien. Zu einem großen Vorbild wurde die von Karl Kraus in Wien herausgegebene Zeitschrift Die Fackel. Mit der Gründung der Galerie im Jahre 1912 erweiterte sich Waldens Tätigkeit; er erschienen Bilderbücher und Postkarten mit Bildern Kandinskys, Klees und anderer Künstler. Die Bezeichnung Der Sturm wurde von Else Laske-Schüler erfunden und sollte die dynamische Vermarktung und neue künstlerische Sprache spiegeln, die der Leser der Zeitschrift in allen Gattungen erleben konnte: Literatur, Theater, Musik, Architektur und Kunst vermischten sich auf ihren Seiten. Im Jahr 1918 wurde die Sturmbühne begründet. Die bildenden Künste wurden durch alle denkbaren Strömungen vertreten: Fauvismus, Orphismus und Kubismus wurden in dieser Zeit durch den alles umfassenden Begriff des Expressionismus bezeichnet. Der Sturm stellte in den Augen von Kurt Schwitters einen Ansatz der ästhetischen Autonomie und der antimimetischen Strömungen in der Kunst vor. Der Architekt Adolf Behne sah im Jahr 1915 im Sturm eine allgemeine Neuorientierung des Denkens und Schaffens. Die Künstler des Blauen Reiters fanden ebenfalls schnell ihren Weg zu Walden. Als Kandinskys Ausstellung in Hamburg im Jahr 1913 eine Verdammung erfuhr, hat der wichtige Haagener Kunstsammler Karl Ernst Osthaus sein Schaffen gerade auf den Seiten des Sturms unterstützt. Als Franz Marc die Münchener Moderne Galerie von Heinrich Tannhäuser, in welcher 1913 die große Picasso Ausstellung stattgefunden hatte, verurteilte, blieb den Künstlern des Neuen Reiters noch immer die Ausstellungmöglichkeit im Rahmen des von Herwarth Walden organisierten Ersten Deutschen Herbstsalon. Die Ausstellung gehörte zu den größten kulturellen Ereignissen des Jahres. Ihr Konkurrent war die von Paul Cassirer organisierte Austellung der Neuen Sezession. Nach der Ausstellung der italienischen Futuristen im Jahr 1912 in Waldens Galerie Potsdamer Straße 122, die aufgrund des Einkaufes von 24 der 32 ausgestellten Werke durch den Berliner Bankier Dr. Borchhardt ein Erfolg wurde, stellte der Herbstsalon ein riesiges Unternehmen vor, das 23 Künstler und 365 Werke umfasste. Der Deutsche Herbstsalon hatte den in Paris im Jahr 1903 begründeten Salon d´Automne und die im Jahr 1912 in Köln von Osthaus organisierte Sonderbundausstellung als Vorbild.
Im Jahre 1913 wurde von Walden eine Ausstellung von Alexander Archipenko organisiert. August Macke hat bei der Gelegenheit eine Sizze der Skuptur Kuss gezeichnet, die ein Zeugnis der Auseinandersetzung der deutschen Künstler mit dem ukrainischen Bildhauer bildet, Im folgendem Jahr 1914 hatte Marc Chagall in Berlin seine erste Einzelausstellung. Der Ausbruch des ersten Weltkrieges führte zum Zusammenbruch der Netzwerke, aber trotzdem bestand weiter eine Nachfrage nach französischer Kunst, die durch die Wirtschaftsblüte im Jahr 1917 einen Auftrieb erhielt. Waldens Zeitschrift war übernational und antipolitisch, der Krieg wurde auf ihren Seiten nicht kommentiert. Die utopische Vorstellung Waldens, dass sich die Kunst außerhalb der Politik befindet, könnte man durch seinen kosmopolitischen Ursprung erklären. Auch während des Krieges wurden Ausstellungen des Sturm organisiert, wie in Brün 1916 oder in Kopenhagen im Jahre 1918. Waldens Unternehmen sollte zwar profitorientiert sein, erwies sich aber oft eher als ein geschäftsmäßiges Desaster, wie im Fall der futuristischen Künstler, die für ihre Bilder nie das versprochene Geld bekommen haben. Im Bundesarchiv Koblenz befinden sich noch heute zahlreiche Briefe, die von den wichtigen Persönlichkeiten der Zeit an Walden geschrieben wurden, darunter Gustav Mahler oder Rainer Maria Rilke. Der Sturm und ide Unternehmen von Herwarth Walden orientierten sich eher an gegenstandloser Kunst und wurden damit zu einem Gegensatz zur figurativen Freien Sezession. Unter Kunstwende verstand Walden eine Musikalität, Rythmik und kosmisches Geschehen, dass einen Ausdruck nach dem Ende des ersten Weltkriegs auch in de Novembergruppe fand. Schon im Jahr 1913 wurden auf den Seiten des Sturm Texte von Robert Delaunay abgedruckt, die Klee übersetzte und die durch die Philosophie Henri Bergsons geprägt wurden. Der bergsonische "élan vital" durchdrang die starre Materie und stand für den Vorrang der Intuition von dem Verstand. Die Schöpfende Kräfte von Bergson (ins deutsche Übersetzt 1912) übten einen essentiellen Einfluss auf den Maler Wenzel Hablik in seiner Reihe der Radierung aus, und auch August Macke stand unter einem merkwürdigen Einfluss von Bergson. Sine Vortellung der Farbe als ein raumbildendes Element und als Ausdruck der Einheit des kosmischen Geschehens fand in dem theosophischem Zugang Kandinskys eher einen Gegenpol. Paul Klees Schaffen wurde dagegen ebenfalls von Bergsons Denkweise stark geprägt, wenn er das Bild als eine stillgesetzte Bewegung bezeichnete. Er war der Meinung, dass das Auge selbst eine Dynamik der Komposition ergibt, wie wir er in zahlreichen Aquarellen finden können, etwa in der Rythmik der Fenster und Tannen aus dem Jahre 1919. Nach Klees Ansicht macht die Kunst Unsichtbares sichtbar, eine Einstellung, der Herwarth Walden sicher zustimmen konnte. Der Einfluss der italienischen Futuristen ist auch in der Büste Waldens aus dem Jahr 1917 gut sichtbar, bei welcher der Bildhauer William Wauer die dynamik der bekannten Skulptur der Urformen von Bewegung im Raum aus dem Jahr 1913 übernahm. Der Gegensatz der runden, organischen, qualligen und der spitzen Formen, der schon seit Alois Riegl ein dauerhaftes Thema der Kunstgeschichte war, wollte von Bergson auch untersucht werden und wurde von Oswald Herzog im Aquarell Die Freude (1921) festgehalten. Der ukrainische Bildhauer Archipenko übte wieder einen großen Einfluss auf die Kunst von Rudolf Belling aus, der an der Ausstellung der Novembergruppe teilgenommen hat. Nach dem Kriegsende wurde diese Gruppe zum Zentrum der linken künstlerischen Avantgarde. Im Anonymitätsanspruch der Künstler stand die Gruppe den russischen Konstruktivisten nahe, im Gegensatz zum Sturm, obwohl in der Zeitschrift auch ein Werk Lazlo Moholy-Nagy veröffentlicht wurde. Herwarth Walden war jedoch der Meinung, Politik ist nicht Kunst und dass man diese zwei Bereiche nicht vermischen sollte. Der Verhältnis von Walden zu den italienischen Futuristen ist durch die erhaltene Korrespondenz gut dokumentiert. Am 12. 4. 1912 wurde die berühmte Ausstellung von Umberto Boccioni in Berlin eröffnet. Die Futuristen fuhren durch die Stadt und warfen Zettel mit dem Manifest in die Straßen. Im folgendem Jahr wurden Ausstellungen von Soffici und Severini eröffnet. Die Zusammenarbeit war jedoch kurz und seit dem Jahr 1913 wurden die Kontakte seltener, weil sich die Futuristen mit der Konkurenz des Kubismus in Paris auseinandersetzen mussten.
Was die Verhältnisse zu den slawischen Ländern angeht, wurde erwähnt, dass Walden eine "mystische romantische russische Stimmung" in sich trug, aber dass er sich trotzdem als ein Westeuropäer fühlte. Schon im Ersten Deutschen Herbstsalon waren die tschechische Künstler stark vertreten, wie zum Beispiel Pavel Janák oder Bohumil Kubišta. Auch auf den Seiten des Sturm fanden sie eine wichtige Präsentationsfläche und es wurden dort Bilder von Vincenc Beneš oder Otakar Kubin abgebildet. Der Sturm wurde sogar zu einem Vorbild für die polnische Zeitschrift Der Block. Das Berliner Symposium bot also vielfältige Informationen, blieb aber vielfach zu algemein. Zu einer komplexen Bewertung der Unternehmungen von Walden wäre es wohl sinnvoll gewesen, sich auf einzelne Detailbereiche zu beschränken und stärker in die Tiefe zu gehen.
Mitteilungen der Gesellschaft für vergleichende Kunstforschung in Wien, Februar 2011
Philipp-Otto-Runge-Ausstellung in Hamburg
Die Hamburger Kunsthalle präsentierte im Winter 2010/11 eine großartige Retrospektive von Philipp Otto Runge, dessen Nachlass sich heute großteils in der norddeutschen Hauptstadt befindet. Trotzdem waren auch Leihgaben aus anderen Sammlungen ausgestellt. Es handelte sich zum Beispiel um das Wiener Bildnis von Runges Freund Friedrich August von Klinkowström. Die Ausstellung wurde im Erdgeschoß der "Galerie der Gegenwart" installiert. Die gelb ausgemalten Räume gaben den Exponaten einen beeindruckenden Hintergrund.
Der Eingangssaal der Ausstellung war mit Zitaten aus Runges Schriften auf den Wänden versehen. So wurde dem Besucher die große Belesenheit des Malers vor Augen gestellt. Der erste Raum der Ausstellung war den Selbstbildnissen von Runge gewidmet. Man konnte Porträts aus allen Schaffensperioden bewundern, die eine indirekte Aussage über das Leben des vorzeitig verstorbenen Künstler bildeten. Im nächstem Raum wurden die Frühwerde Runges ausgestellt. Eine Kuriosität bildete eine kleine Zeichnung, die Runge für das Poesiealbum seines Freundes Johann Adolf Schiever angefertigt hatte, als er 15 Jahre alt war. Die Ausstellungsmacher haben sicher gut daran getan, dass sie die Zeichnung auch präsentierten, weil sie die vorzeitige Reife des Genies gut illustriert. Die Zeichnungen der Gipsabgüsse aus der Zeit von Runges Studien an der Kopenhagener Akademie wurden zusammen mit Kopien nach antiken Grafiken und Stichen ausgestellt. So wurden Ausgangspunkte für zahlreiche spätere Hauptwerke angedeutet. Als Runge 1801 nach Dresden gezogen war, zeichnete er die Venus von Medici, die einen sehr bedeutenden Einfluss für das Gemälde "Der Kleine Morgen" haben wird. Der Zeichnung wurde deswegen in diesem Raum eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Aunschließend kam der Besucher in den Saal, in welchem die ersten eigenständigen Kompositionen präsentiert wurden. Das Reliefgemälde "Der Triumph des Amor" (1802) bildete das Hauptwerk dieser Abteilung. Das Thema war von Runge schon in Kopenhagen angefangen worden, aber erst in Dresden malte er eine effektvolle Grisaille-Komposition in Öl. Als das Gemälde in der Dresdener Kunstausstellung gezeigt wurde, beeindruckte es den Philosophen Friedrich Schlegel, den Runge in derselben Zeit kennenlernte. Die Skizzen für eine Wandmalerei mit dem Motiv der Heimkehr der Söhne (1800-1801) wurden im selben Raum ausgestellt. Mit den Weimarer Preisaufgaben schuf Runge Zeichnungen, die als ein "Bruch mit de klassizistischen Tradition" bezeichnet werden. Die Zeichnung des Kampfes des Achill mit Skamandros wurde in Weimar nicht gut beurteilt, und Heinrich Mayer bezechnete die Figuren in der "Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung" als "manieriert". Mit der Zeit der Dresdner Studien ist auch ein anderes Hauptwerk verbunden, das im benachbartem Raum unter dem Titel "Bild und Rahmen" mit anderen Kompositionen ausgestellt wurde. Die "Lehrstunde der Nachtigall" (1801-1805) hängt eng mit Runges persönlichem Leben zusammen. In Dresden machte er nämlich die Bekanntschaft mit siner angehenden Frau Pauline Bassenge, die in diesem Gemälde als eine allegorische Figur gemalt ist, die eine kleine Nachtigall, vielleicht Runge selbst, auf einem Ast das Singen lehrt. Die Lehrstunde der Nachtigall wurde wegen des Themas des illusionierten Rahmens in diesem Teil der Ausstellung zusammen mit der Zeichnung "Die Freuden der Jagd" (1808-1809) präsentiert. Im nächsten Raum wurden religiöse Bilder ausgestellt, die mit der Ausstattung von Kirchenräumen in Greifswald und auf Rügen zusammenhängen. Es handelt sich um zwei Gemälde, die "Ruhe auf der Flucht" (1805) und "Petrus auf dem Meer" (1806-1807). Weil diese Gemälde Runges farbtheoretische Untersuchungen gut illustrieren, wurden im nächstem Saal die Aquarellstudien zu der Farbenkugel ausgestellt. Die handkolorierte Erstausgabe, die im Auftrag Friedrich Perthes im Jahr 1810 erschien, war auch vertreten. In Zusammenarbeit mit Johann Wolfgang von Goethe entwarf Runge ein geniales Konzept, wie man das Spektrum darstellen könnte. Er erweiterte den Farbenkreis durch zwei Pole – einen Weißen und einen Schwarzen. So entstand die Farbenkugel, von der sich zahlreiche Künstler am Anfang des 20. Jahrhunderts inspirieren ließen. Runge sah das weiße Licht der Sonne als den Ausdruck des Göttlichen. Nach der Ansicht des Künstlers entstanden die Farben druch den Fall des Menschen, denn Gott hätte durch diese eine Sehweise für den sündigen Menschen geschaffen. Die Pflanze, das Kind, und das durchsichtige Sonnenlicht symbolisierten für Runge den paradiesischen Zustand des Menschen, den er in seinen Gemäden Ausdruck verleihen wollte.
Ein schmaler Gang diente zur Ausstellung von Pflanzenstudien und den Zeichnungen zu den Allegorien der Zeiten, die Runge großformatig ausfertigen wollte. In Öl wurde allerdings nur die "Mutter Erde mit ihren Kindern" (1803) und hauptsächlich "Der Kleine Morgen" (1808) ausgeführt. Diesem Gemälde war der nächte Saal gewidmet, in welchem auch die zahlreichen Skizzen vorgestellt wurden. Das Ölbild befand sich an der linken schmalen Wand, so dass man es mit der großen Version des selben Thema vergleichen konnte, die in dem folgendem Raum zu sehen war. Der "Große Morgen" (1809) nahm den zentralen Platz der Ausstellung ein. Obwohl dieses Hauptwerk leider nach dem Tod des Künstlers in mehrere Teile zerschnitten wurde und zahlreiche Partien ganz verloren sind, wirkt der Torso sehr beeindruckend. Der folgende Raum wurde den Bildnissen von Runges Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten gewidmet. Die Ungterstützung von Seite seiner Familie war für den Maler zeitlebens sehr wichtig, da er von seiner Kunst allein nicht leben konnte. Das Porträt der Eltern des Künstlers (1806) wurde mit dem Bildnis der Kinder von Friedrich August Hülsenbeck (1805-1806) an den Hauptachsen des Saales ausgestellt. Die erhaltenen Studien zu beiden Gemälden waren auch präsent und stellten einen interessanten Einblick in die Entwicklung beider Hauptwerke dar. Zwischen den kleineren, aber auch sehr bemerkenswerten Gemälden, zog das Bildnis von Daniel Runge (1808-1809) die Aufmerksamkeit an sich. Der Bruder des Künstlers blickt von seinem Buch nachdenklich auf. Seine strenge protestantische Kultur wird durch die bescheidene Kleidung betont. Im Gegensatz dazu wirkt das Wiener Bildnis von Friedrich August von Klinkowström sehr unterschiedlich: der adelige Maler Klinkowström wendet uns selbstbewusst seinen Blick zu. Seine Aufmerksamkeit gilt aber trotzdem nicht dem Betrachter, sondern der Porträtierte scheint seine Augen an einen Pnkt hinter uns zu fixieren. Nach der Aussage von Runges Ehefrau Pauline sollte er von seinem Malerfreund als Pendant sein eigenes Bildnis bekommen.
Im anschließendem Raum waren Runges Illustrationen zu James Macphersons "Ossian" ausgestellt, die in ihrem Unrissstil durch den Einfluss des Engländer John Flaxman stark geprägt worden sind. Runges angewandte Kunst wurde mit den Spielkarten (1809) gezeigt, die in Hamburg eine große Verbreitung erreichten. Das Ölgemälde "Mondaufgang" (1808) war der Mittelpunkt dieser Abteilung. Es wurde als eine Lehne für ein Sofa von Friedrich Perthes entworfen. Die Illustrationen zum "Vaterländischen Museum" waren in diesem Teil der Ausstellung ebenfalls zu sehen. Die letzten Räume wurden den Scherenschnitten gewidmet, an welchen Runge schon seit seiner Kindheit großes Interesse hatte. Der Blick auf Wolgast beeindruckt durch eine einfache, aber präzise Darstellung des Panoramas der Geburtsstadt des Künstlers. Andere Themen der Scherenschnitte bildeten Tiere, darunter auch ein Hund, der den Mond anbellt und von Theodorus Bezas Buch "Icones" (1580) inspiriert worden ist. Effektvolle Darstellungen von Pflanzen bieten auch einen zweiten thematischen Schwerpunkt von Runges Grafiken. Einer der schönsten Scherenschnitte ist die Darstellung einer Feuerlilie mit Blattstaude und Vergissmeinnicht. Runge beschäftigte sich auch mit Schattenrissen, die durch den Pfarrer Johann Caspar Lavater (1741-1801) damals eine große Beliebtheit erlangten. Der letzte Saal der Ausstellung präsentierte eine Dokumentation zur Maltechnik Runges. Ein Film über das Leben des Malers war auf der Schau ebenfalls zu sehen.
Die Ausstellung war ohne Zweifel ein großes Ereignis und sie bildete die größte Retrospektive von Runges Werk seit dreißig Jahren. Das Konzept war allerdings ein bisschen verwirrend. Die Schau wurde nämlich aus zwei verschiedenen Gesichtspunkten konzipiert: teilweise chronologisch und teilweise thematisch. Dies führte zwar zu mehreren interessanten Andeutungen von thematischen Schwerpunkten in Runges Schaffen, rief aber auch manche Ungenauigkeiten hervor. So waren zum Beispiel in der Abteilung "Bild und Rahmen" Kompositionen ausgestellt, die diesem Gesichtspunkt entsprachen, aber der "Kleine Morgen" hätte hier gleichfalls Platz gehabt, weil er ebenfalls mit der "Bild und Rahmen"-Illusion arbeitet. Auch die Aufteilung zwischen den eigenständigen Gemälden und Runges angewandter Kunst scheint uns ein bisschen ungenau. Runge konzipierte doch auch die "Zeiten" als ein Gesamtkunstwerk, welche deswegen richtig gesehen auch in der Abteilung der angewandten Kunst zu sehen sein könnten. Die Ausstellung wurde nach ihrer Erstpräsentation in Hamburg einige Monate auch in München präsentiert.
Sixtinische Madonna
"Die Sixtinische Madonna. Raffaels Kultbild wird 500"
Ausstellung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister, von 26. Mai bis 26. August 2012
Neben der Mona Lisa im Pariser Louvre existiert auf der Welt wahrscheinlich nur ein anderes Gemälde, das eine vergleichbare Berümtheit erreichte: die Sixtinische Madonna. Im Jahre 2012 konnte dieses Meisterwerk der Dresdner Gemäldegalerie seinen 500. Geburtstag feiern, und zu dieser Gelegenheit organisierten die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden mehrere Ausstellungen mit wichtigen Leihgaben aus dem Ausland. Die letzte Ausstellung widmete sich nicht nur den Umstanden der Entstehung des Gemäldes, sondern auch dem Einfluss, welchen die Sixtinische Madonna in den folgenden Jahrhunderten bis in unsere Gegenwart ausstrahlte.
Schon Giorgio Vasari äußerte sich ausdrücklich in seinen Vitae de´piu eccelenti pittori (…) über das wichtige Kunstwerk Raffaels, das für die Benediktiner Mönche in Piacenza geschaffen wurde. Vasari beschreibt das Altargemälde als eine Darstellung der Madonna mit dem Heiligen Sixtus und der Heiligen Barbara und er bewertet das Kunstwerk als "völlig außerordentlich, einmalig". Der Auftrag für das Kunstwerk war höchst wahrscheinlich von Papst Julius II. Ausgegangen, der auch unter seinem Familiennamen della Rovere bekannt ist. Rovere heißt auf Italienisch Eiche. Obwohl sich der Papst nicht auf dem Gemälde darstellen ließ, ist in dem Gewand des heiligen Sixtus eine Anspielung an ihn verborgen: Wir sehen dort die Eichenblätter, und auch die Tiara in der unteren linken Ecke hat auf ihrer Spitze die Eichel. Der Heilige Sixtus war von 257-258 Bischof in Rom, und er wurde während einer Messe in der Gruft des Heiligen Calixtus ermordet. Das Kloster San Sisto in Piacenza wurde in der Mitte des 9. Jahrhunderts von der Kaiserin Angilberta gestiftet, die ihm die Reliquien der Heiligen Barbara vermachte, und von Kaiser Ludwig II., der die Gebeine des Heiligen Sixtus dem Kloster geschenkt hat. Seit Beginn des 13. Jahrhunderts war das Kloster direkt dem Papst unterstellt. Die Repräsentation der beiden Heiligen auf dem Altargemälde Raffaels ist also ganz logisch. Papst Sixtus IV. war überdies der Onkel von Julius II. und er bildet also eine weitere Anspielung auf die Familientradition der della Rovere. Piacenza war Anfang des 16. Jahrhunderts aber nicht das Dominium des Papstes, sondern gehörte dem französischem König Ludwig XII. Erst mittels einer geschickten Diplomatie und mit Hilfe der Schweizer Söldner gelang es dem Papst, es wieder seinem Staat anzugliedern. Am 26. Juli 1512 traf in Rom die Delegation aus Piacenza ein, und Julius II. sollte damals den Einwohnern des Ortes versprochen haben, dass er sich bei ihnen so bedanken wird, dass sie es nicht vergessen werden. Ob er damals die Sixtinische Madonna im Sinn hatte werden wir nicht mehr erfahren, aber spätestens bei der Weihe der Kirche im Jahr 1514 befindet sich Raffaels Bild auf dem Hauptaltar. Der Künstler kam im Jahr 1508 nach Rom aus Florenz. Er war damals erst 25 Jahre alt, aber hat sich gleich durchgesetzt. Der Papst hat ihm die Dekoration seiner Stanzen anvertraut, und Raffael bekam auch viele Aufträge von privaten Kunden. Von diesen ist in der Ausstellung die Madonna Garvagh (1510) zu sehen. Die großzügige Leihgabe aus dem Vatikan, die Madonna aus Foligno (1511/12), war in Dresden schon in der vorhergehenden Ausstellung zu sehen. Sie stellt einen wichtigen letzten Schritt zur Sixtinischen Madonna dar. Die Madonna mit dem Jesuskind ist auf der Tafel thronend auf den Wolken dargestellt, die sie von der unteren "irdischen" Sphäre abtrennen, wo die Heiligen und Auftraggeber dargestellt sind. In der Sixtinischen Madonna war zunächst die irdische Sphäre unterdrückt, so dass die Madonna als eine suggestive Offenbarung wirkt, die zu uns direkt aus den Wolken kommt.
Zu den wichtigsten Leihgaben in der Ausstellung zählte das Porträt von Julius II. aus den Uffizien in Florenz, geschaffen in den Jahren 1511/12, auf dem der Papst mit dem langen Vollbart dargestellt ist, den er so lange wachsen ließ, bis die Franzosen aus Italien vertrieben wurden. Ein wichtiges Exponat der Ausstellung war neben der Sixtinischen Madonna das berühmte Portät der Donna Velata (1512/13) aus dem Palazzo Pitti in Florenz, die Raffaels Typus einer schönen Frau ("bella donna") darstellt. Ihre Abbildung findet man auch in der Figur des Sixtinischen Madonna. Im Einführungsbereich der Ausstellung, der sich den Umständen der Entstehung der Sixtinischen Madonna widmete, waren noch weitere Zeichungen Raffaels zu sehen, unter anderen die Madonna mit dem Jesuskind aus Chatsworth und jene aus dem Ashmolean Museum in Oxford. Sie illustrierten die lebhafte, spielerische Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Kind, mit welcher Raffael eine künstlerische Innovation des Typus einleitete, der noch durch die charakteristischen ikonischen Repräsentationen eines Perugino oder Pinturicchio gegrägt war. Diese Künstler arbeiteten noch im mittelalterlichem Sinn mit der Hilfe von Schablonen. Raffael malte dagegen wirkliche Kinder und auch deswegen erreichten die zwei Engelchen am unteren Rand der Sixtinischen Madonna eine so hohe Popularität.
Ein weiterer innovativer Aspekt der Sixtinischen Madonna ist die Darstellung einer starken innerlichen Emotion im Gesichtsausdruck der Gottesmutter und ihres Kindes. Andreas Prater hat bemerkt, dass der ernsthafte Ausdruck der Madonna und des Jesuskindes vielleicht im Zusammenhang mit dem vor dem Gemälde stehendem Kreuz zu verstehen ist. Die Erschreckung der Mutter Gottes und ihres Kindes ist also eine Anspielung auf das zukünftige Martyrium. Die Darstellung der Emotionen in Raffaels Werk war in der Ausstellung durch eine einzigartige Zeichnung aus dem Pariser Louvre illustriert. Es handelte sich um eine Skizze für die Ausführung des Engels der Rache in den Wandmalereien der Stanzen im Vatikan.
Eine weitere Abteilung der Ausstellung widmete sich mittels schriftlicher Dokumente den Umständen des Kaufes des Gemäldes durch die Agenten von König August III. von Polen. Die Bilder Raffaels waren in ganz Europa der Stolz der königlichen Gemäldesammlungen und es überrascht deswegen nicht, dass sich der Agent von August III., Francesco Algarotti, im Jahre 1743 nach Italien begab, mit dem Ziel, für die sächsischen Sammlungen ein Gemälde des berühmtes Meister aus Urbino zu kaufen. Erst nach langer Verhandlung mit den Mönchen der Klosters San Sisto wurde das Gemälde gekauft und am ursprünglichem Platz durch eine Kopie ersetzt. Der Legende nach hatte der König August III. bei der Anfahrt des Gemäldes selbst die Möbel verschoben und er soll gesagt haben: "Platz für den großen Raffael!"
Trotzdem stand die Sixtinische Madonna lange Zeit im Schatten des berühmten Gemäldes Anbetung der Hirten von Corregio. In der Ausstellung wurden deswegen in einem Raum jene Bücher ausgestellt, durch welche die Madonna ihren Ruhm erreichte. Die erste ausgesprochen positive Bewertung des Gemäldes nach seiner Ausstellung in Dresden finden wir in den berühmten Gedancken über die Nachahmung (…) von Johann Joachim Winckelmann, der in Dresden in den Jahren 1754-55 lebte. Winckelmann schreibt über die "stille Größe und edle Einfalt" von Raffaels Madonna. Der Direktor der Dresdner Akademie Giovanni Battista Casanova hat im Jahre 1766 die Madonna Raffaels mit der Himmelfahrt Christi von Anton Raphael Mengs verglichen. Erst Georg Foster hat aber im Jahr 1784 die Rezeption und den Kult der Sixtinischen Madonna durch die Generation der Preromantiker vorbereitet. Wenige Monate nach Wieland, der über das Gemälde Raffaels mit einer religiösen Ehrfurcht berichtet, fuhr Heinrich Meyer nach Dresden. Er wollte ausgewählte Gemälde für die Weimarer Behausung von Carl August von Sachsen-Weimar kopieren. Als Goethe die Kopie der Sixtinischen Madonna von Meyer gesehen hat, hat er sie als ein Wunder bezeichnet, das den normalen Verstand übersteigt, und er bezeichnet die Madonna als "Der Mutter Urbild".
Im Jahre 1796 kamen die Dichter Wackenroder und Tieck in Dresden an, und sie lehnten Wickelmanns Kult der idealen Antike ab. Im folgenden Jahr erschienen die Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, in welchen im Zusammenhang mit der Sixtinischen Madonna von der "Erscheinung Raffaels" die Rede ist. Wackenroder hat mit seinem Buch die Brüder Riepenhausen inspiriert, die ein Gemälde malten, in welchem sich Raffael im Traum die Madonna mit dem Kind offenbart. Eine von mehreren Versionen des Gemäldes Raffaels Traum (1821) war sogar im Besitz von Berthel Thorvaldsen. Die Sixtinische Madonna wurde schrittweise das Kultbild der deutschen Romantik. In der Zeitschrift der Bruder Schlegel Athenaeum, welche lange Zeit die Tribüne der Preromantik war, ist auch das Gespräch erschienen, in dem sich die Dichterin Louisa und der Dichter Waller mit dem Maler Reinhold über die Gemälde der Dresdener Gemäldegalerie unterhalten, und sie widmen sich mit besonderer Aufmerksamkeit der Sixtinischen Madonna. Wie man in der Ausstellung am Gemälde von Leopold Zielke sehen konnte, befand sich eine Kopie der Madonna von Johann Friedrich Bury im Arbeitszimmer von Friedrich Wilhelm III. Die Sixtinische Madonna wurde auch von Gehard von Kügelgen kopiert.
In den ersten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wurde die Sixtinische Madonna durch Grafiken so berühmt, dass sie fast zu einer unterbewussten Ikone der Romantik wurde. In einer unauffälligen Version konnten wir sie auch im Hintergrund der Schlafenden Weberin (1838) von Wilhelm Schumann sehen. Leider waren in der Ausstellung keine Werke von Philipp Otto Runge, obwohl er von der Sixtinischen Madonna tief berührt war und sich von ihr auch für seine Allegorie des Morgens inspiriern ließ. Interessant ist aber die Rezeption Schopenhauers angedeutet, der im Jahr 1819 im Zusammenhang mit der Madonna über die Offenbarung des Willens und über die Besinnung der Endlichkeit schreibt. Auch Hegel und Nietsche interpretierten in ihrem Sinn die Sixtinische Madonna. Nietsche redet über eine Vision der zukünftigen Braut und über eine schöne und schweigende Frau. Am Ende des 19. Jahrhunderts erscheint letztendlich eine Interpretation, die durch die revolutionären Entdeckungen im Gebiet der Biologie beeinflusst ist: Richard Dehmel redet im Zusammenhang mit der Madonna empört über die Augen eines Tieres.
Der dritte Abschnitt der Ausstellung widmete sich dem Schicksal der Madonna im 20. Jahrhundert. Hier wurde der romantische Kult der Madonna, der im zweiten Teil der Ausstellung vorgestellt wurde, durch die witzige Collage von Kurt Schwitters Mz. 151 Wenzel Kind Madonna mit Pferd (1921) konterkariert. Die Collage entstand wahrscheinlich bei Gelegenheit einer Reise nach Prag, wo Schwitters ein "anti-dada" Theaterstück zusammen mit Raoul Hausmann vorstellte. In diesem Teil der Ausstellung wurden durch Ausschnitte aus Zeitungen auch die Schicksale der Madonna im zweiten Weltkrieg, die Ausstellung im Museum in Moskau im Jahr 1945 und ihre Rückkehr nach Dresden in den 50iger Jahren des 20. Jahrhunderts vorgestellt. In der letzten Abteilung der Ausstellung wurden Beispiele für Kitschobjekte gezeigt, die das Thema der Madonna oder der berühmten zwei Engelchen benutzten. Im Zusammenhang mit der temporären Präsentation der Madonna 1. Stock der Sempergalerie wurde auf dem üblichen Platz ein Werk der zeitgenössischen Künstlerin Katharina Gaenssler aufgehängt. Es handelt sich um einen großen Teppich, der die Madonna illusionistisch darstellt.