Philipp-Otto-Runge-Ausstellung in Hamburg
Die Hamburger Kunsthalle präsentierte im Winter 2010/11 eine großartige Retrospektive von Philipp Otto Runge, dessen Nachlass sich heute großteils in der norddeutschen Hauptstadt befindet. Trotzdem waren auch Leihgaben aus anderen Sammlungen ausgestellt. Es handelte sich zum Beispiel um das Wiener Bildnis von Runges Freund Friedrich August von Klinkowström. Die Ausstellung wurde im Erdgeschoß der "Galerie der Gegenwart" installiert. Die gelb ausgemalten Räume gaben den Exponaten einen beeindruckenden Hintergrund.
Der Eingangssaal der Ausstellung war mit Zitaten aus Runges Schriften auf den Wänden versehen. So wurde dem Besucher die große Belesenheit des Malers vor Augen gestellt. Der erste Raum der Ausstellung war den Selbstbildnissen von Runge gewidmet. Man konnte Porträts aus allen Schaffensperioden bewundern, die eine indirekte Aussage über das Leben des vorzeitig verstorbenen Künstler bildeten. Im nächstem Raum wurden die Frühwerde Runges ausgestellt. Eine Kuriosität bildete eine kleine Zeichnung, die Runge für das Poesiealbum seines Freundes Johann Adolf Schiever angefertigt hatte, als er 15 Jahre alt war. Die Ausstellungsmacher haben sicher gut daran getan, dass sie die Zeichnung auch präsentierten, weil sie die vorzeitige Reife des Genies gut illustriert. Die Zeichnungen der Gipsabgüsse aus der Zeit von Runges Studien an der Kopenhagener Akademie wurden zusammen mit Kopien nach antiken Grafiken und Stichen ausgestellt. So wurden Ausgangspunkte für zahlreiche spätere Hauptwerke angedeutet. Als Runge 1801 nach Dresden gezogen war, zeichnete er die Venus von Medici, die einen sehr bedeutenden Einfluss für das Gemälde "Der Kleine Morgen" haben wird. Der Zeichnung wurde deswegen in diesem Raum eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Aunschließend kam der Besucher in den Saal, in welchem die ersten eigenständigen Kompositionen präsentiert wurden. Das Reliefgemälde "Der Triumph des Amor" (1802) bildete das Hauptwerk dieser Abteilung. Das Thema war von Runge schon in Kopenhagen angefangen worden, aber erst in Dresden malte er eine effektvolle Grisaille-Komposition in Öl. Als das Gemälde in der Dresdener Kunstausstellung gezeigt wurde, beeindruckte es den Philosophen Friedrich Schlegel, den Runge in derselben Zeit kennenlernte. Die Skizzen für eine Wandmalerei mit dem Motiv der Heimkehr der Söhne (1800-1801) wurden im selben Raum ausgestellt. Mit den Weimarer Preisaufgaben schuf Runge Zeichnungen, die als ein "Bruch mit de klassizistischen Tradition" bezeichnet werden. Die Zeichnung des Kampfes des Achill mit Skamandros wurde in Weimar nicht gut beurteilt, und Heinrich Mayer bezechnete die Figuren in der "Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung" als "manieriert". Mit der Zeit der Dresdner Studien ist auch ein anderes Hauptwerk verbunden, das im benachbartem Raum unter dem Titel "Bild und Rahmen" mit anderen Kompositionen ausgestellt wurde. Die "Lehrstunde der Nachtigall" (1801-1805) hängt eng mit Runges persönlichem Leben zusammen. In Dresden machte er nämlich die Bekanntschaft mit siner angehenden Frau Pauline Bassenge, die in diesem Gemälde als eine allegorische Figur gemalt ist, die eine kleine Nachtigall, vielleicht Runge selbst, auf einem Ast das Singen lehrt. Die Lehrstunde der Nachtigall wurde wegen des Themas des illusionierten Rahmens in diesem Teil der Ausstellung zusammen mit der Zeichnung "Die Freuden der Jagd" (1808-1809) präsentiert. Im nächsten Raum wurden religiöse Bilder ausgestellt, die mit der Ausstattung von Kirchenräumen in Greifswald und auf Rügen zusammenhängen. Es handelt sich um zwei Gemälde, die "Ruhe auf der Flucht" (1805) und "Petrus auf dem Meer" (1806-1807). Weil diese Gemälde Runges farbtheoretische Untersuchungen gut illustrieren, wurden im nächstem Saal die Aquarellstudien zu der Farbenkugel ausgestellt. Die handkolorierte Erstausgabe, die im Auftrag Friedrich Perthes im Jahr 1810 erschien, war auch vertreten. In Zusammenarbeit mit Johann Wolfgang von Goethe entwarf Runge ein geniales Konzept, wie man das Spektrum darstellen könnte. Er erweiterte den Farbenkreis durch zwei Pole – einen Weißen und einen Schwarzen. So entstand die Farbenkugel, von der sich zahlreiche Künstler am Anfang des 20. Jahrhunderts inspirieren ließen. Runge sah das weiße Licht der Sonne als den Ausdruck des Göttlichen. Nach der Ansicht des Künstlers entstanden die Farben druch den Fall des Menschen, denn Gott hätte durch diese eine Sehweise für den sündigen Menschen geschaffen. Die Pflanze, das Kind, und das durchsichtige Sonnenlicht symbolisierten für Runge den paradiesischen Zustand des Menschen, den er in seinen Gemäden Ausdruck verleihen wollte.
Ein schmaler Gang diente zur Ausstellung von Pflanzenstudien und den Zeichnungen zu den Allegorien der Zeiten, die Runge großformatig ausfertigen wollte. In Öl wurde allerdings nur die "Mutter Erde mit ihren Kindern" (1803) und hauptsächlich "Der Kleine Morgen" (1808) ausgeführt. Diesem Gemälde war der nächte Saal gewidmet, in welchem auch die zahlreichen Skizzen vorgestellt wurden. Das Ölbild befand sich an der linken schmalen Wand, so dass man es mit der großen Version des selben Thema vergleichen konnte, die in dem folgendem Raum zu sehen war. Der "Große Morgen" (1809) nahm den zentralen Platz der Ausstellung ein. Obwohl dieses Hauptwerk leider nach dem Tod des Künstlers in mehrere Teile zerschnitten wurde und zahlreiche Partien ganz verloren sind, wirkt der Torso sehr beeindruckend. Der folgende Raum wurde den Bildnissen von Runges Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten gewidmet. Die Ungterstützung von Seite seiner Familie war für den Maler zeitlebens sehr wichtig, da er von seiner Kunst allein nicht leben konnte. Das Porträt der Eltern des Künstlers (1806) wurde mit dem Bildnis der Kinder von Friedrich August Hülsenbeck (1805-1806) an den Hauptachsen des Saales ausgestellt. Die erhaltenen Studien zu beiden Gemälden waren auch präsent und stellten einen interessanten Einblick in die Entwicklung beider Hauptwerke dar. Zwischen den kleineren, aber auch sehr bemerkenswerten Gemälden, zog das Bildnis von Daniel Runge (1808-1809) die Aufmerksamkeit an sich. Der Bruder des Künstlers blickt von seinem Buch nachdenklich auf. Seine strenge protestantische Kultur wird durch die bescheidene Kleidung betont. Im Gegensatz dazu wirkt das Wiener Bildnis von Friedrich August von Klinkowström sehr unterschiedlich: der adelige Maler Klinkowström wendet uns selbstbewusst seinen Blick zu. Seine Aufmerksamkeit gilt aber trotzdem nicht dem Betrachter, sondern der Porträtierte scheint seine Augen an einen Pnkt hinter uns zu fixieren. Nach der Aussage von Runges Ehefrau Pauline sollte er von seinem Malerfreund als Pendant sein eigenes Bildnis bekommen.
Im anschließendem Raum waren Runges Illustrationen zu James Macphersons "Ossian" ausgestellt, die in ihrem Unrissstil durch den Einfluss des Engländer John Flaxman stark geprägt worden sind. Runges angewandte Kunst wurde mit den Spielkarten (1809) gezeigt, die in Hamburg eine große Verbreitung erreichten. Das Ölgemälde "Mondaufgang" (1808) war der Mittelpunkt dieser Abteilung. Es wurde als eine Lehne für ein Sofa von Friedrich Perthes entworfen. Die Illustrationen zum "Vaterländischen Museum" waren in diesem Teil der Ausstellung ebenfalls zu sehen. Die letzten Räume wurden den Scherenschnitten gewidmet, an welchen Runge schon seit seiner Kindheit großes Interesse hatte. Der Blick auf Wolgast beeindruckt durch eine einfache, aber präzise Darstellung des Panoramas der Geburtsstadt des Künstlers. Andere Themen der Scherenschnitte bildeten Tiere, darunter auch ein Hund, der den Mond anbellt und von Theodorus Bezas Buch "Icones" (1580) inspiriert worden ist. Effektvolle Darstellungen von Pflanzen bieten auch einen zweiten thematischen Schwerpunkt von Runges Grafiken. Einer der schönsten Scherenschnitte ist die Darstellung einer Feuerlilie mit Blattstaude und Vergissmeinnicht. Runge beschäftigte sich auch mit Schattenrissen, die durch den Pfarrer Johann Caspar Lavater (1741-1801) damals eine große Beliebtheit erlangten. Der letzte Saal der Ausstellung präsentierte eine Dokumentation zur Maltechnik Runges. Ein Film über das Leben des Malers war auf der Schau ebenfalls zu sehen.
Die Ausstellung war ohne Zweifel ein großes Ereignis und sie bildete die größte Retrospektive von Runges Werk seit dreißig Jahren. Das Konzept war allerdings ein bisschen verwirrend. Die Schau wurde nämlich aus zwei verschiedenen Gesichtspunkten konzipiert: teilweise chronologisch und teilweise thematisch. Dies führte zwar zu mehreren interessanten Andeutungen von thematischen Schwerpunkten in Runges Schaffen, rief aber auch manche Ungenauigkeiten hervor. So waren zum Beispiel in der Abteilung "Bild und Rahmen" Kompositionen ausgestellt, die diesem Gesichtspunkt entsprachen, aber der "Kleine Morgen" hätte hier gleichfalls Platz gehabt, weil er ebenfalls mit der "Bild und Rahmen"-Illusion arbeitet. Auch die Aufteilung zwischen den eigenständigen Gemälden und Runges angewandter Kunst scheint uns ein bisschen ungenau. Runge konzipierte doch auch die "Zeiten" als ein Gesamtkunstwerk, welche deswegen richtig gesehen auch in der Abteilung der angewandten Kunst zu sehen sein könnten. Die Ausstellung wurde nach ihrer Erstpräsentation in Hamburg einige Monate auch in München präsentiert.